
Arbeitsrechtliche Herausforderungen bei Änderungen von bAV-Verträgen
Das Wichtigste in Kürze
- Bei Änderungen von Verträgen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) stoßen Arbeitgeber auf enge gesetzliche Schranken.
- Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) schützt Versorgungsanwartschaften, indem es Unverfallbarkeitsfristen vorsieht.
- Arbeitnehmer genießen unabhängig von Fristen Bestandsschutz ihrer bAV basierend auf Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit.
- Eine kollektive Regelung erfolgt idealerweise per Versorgungsordnung – einer einseitigen Arbeitgebererklärung zur rechtssicheren Gestaltung der bAV.
Rechtliche und betriebliche Schranken bei der Anpassung bestehender bAV-Zusagen
In Hinblick auf die Anpassung einer bestehenden bAV-Zusage gilt für den Arbeitgeber grundsätzlich:
- Die Versorgungszusage muss auf gleichem Weg geändert werden, wie sie zustande gekommen ist.
- Verschlechterungen des Rentenanspruchs sind nur in Ausnahmefällen zulässig.
Wichtige Schranken ergeben sich aus dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG), dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie aus der ständigen Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht (BAG) und Bundesgerichtshof (BGH).
Unverfallbarkeit und gesetzliche Mindeststandards (BetrAVG)
Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) schützt Anwartschaften durch Unverfallbarkeitsfristen. Diese bewirken, dass ein Arbeitnehmer auch beim vorzeitigen Ausscheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis einen unverlierbaren Anspruch auf seine Betriebsrente behält, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind:
- Der Arbeitnehmer ist mindestens 21 Jahre alt; seine Zusage bestand mindestens drei Jahre (gilt seit 2018)
- Für ältere Zusagen (bis 2017) gilt eine Frist von fünf Jahren und ein Mindestalter von 25 Jahren.
- Bereits erdiente Versorgungsansprüche sind gesetzlich geschützt. Der Arbeitgeber darf diese nicht entziehen oder kürzen.
Wichtiger Hinweis: Nur dort, wo das BetrAVG ausdrücklich Abweichungen einschränkt – etwa bei der Unverfallbarkeit, dem Insolvenzschutz oder der Anpassungsprüfpflicht – sind nachteilige Änderungen unzulässig (§ 17 Abs. 3 BetrAVG). Anderenfalls sind Verschlechterungen grundsätzlich möglich, bedürfen jedoch einer besonderen rechtlichen Rechtfertigung.
Vertrauensschutz und Verschlechterungsverbot (Drei-Stufen-Theorie des BAG)
Unabhängig von festen Fristen besteht für Arbeitnehmer ein Bestandsschutz ihrer betrieblichen Altersversorgung. Dieser Schutz ergibt sich aus dem Vertrauensschutzprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Um Eingriffe in bestehende Versorgungszusagen rechtlich zu bewerten, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die sogenannte Drei-Stufen-Theorie entwickelt. Diese Theorie unterscheidet drei Schutzstufen für Versorgungsanwartschaften:
Stufe 1: Bereits erdiente Anwartschaften, also Leistungen, die sich der Arbeitnehmer durch seine bisherige Betriebszugehörigkeit unwiderruflich erworben hat (in der Regel der nach § 2 Abs. 1 BetrAVG berechnete Teilanspruch bis zum Zeitpunkt der Änderung), stehen unter besonders strengem Schutz. Eingriffe in diesen Besitzstand sind nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig, zum Beispiel, wenn eine Änderung notwendig ist, um eine Insolvenz des Unternehmens zu verhindern. In der Praxis ist eine Kürzung oder der Entzug solcher bereits erdienter Ansprüche nahezu ausgeschlossen.
Stufe 2: Diese Stufe betrifft die künftige Entwicklung von bereits erdienten Versorgungsansprüchen, etwa durch dynamische Faktoren wie Gehaltserhöhungen bei endgehaltsbezogenen Zusagen. Man spricht hier von der sogenannten „erdienten Dynamik“. Eingriffe in diese Dynamik sind nur aus wichtigen, sachlich gerechtfertigten Gründen zulässig; der Arbeitgeber muss hierfür triftige betriebliche Gründe vorbringen.
Beispielsweise kann eine ursprünglich zugesagte künftige Rentensteigerung nur dann gekürzt, begrenzt oder ausgesetzt werden, wenn ein sachlicher und nachvollziehbarer Anlass besteht wie eine ernsthafte wirtschaftliche Notlage des Unternehmens.
Stufe 3: Diese Stufe umfasst Versorgungsansprüche, die vom zukünftigen Dienstzeitverlauf abhängen – also Rentensteigerungen, die Arbeitnehmer erst durch weitere Betriebszugehörigkeit erwerben würden. Eingriffe in diese künftigen Zuwächse sind unter weniger strengen Voraussetzungen zulässig, da noch kein schutzwürdiger Besitzstand entstanden ist. Allerdings gilt auch hier: Es muss ein sachlich gerechtfertigter, angemessener Grund vorliegen.
Bereits ausreichend ist, wenn die Maßnahme verhältnismäßig und durch nachvollziehbare betriebliche Gründe gedeckt ist, etwa eine moderate Anpassung des Versorgungsplans bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Hinweis: Arbeitgeber können Optimierungen erzielen, indem sie die Zusage und Gestaltung wertgleich modernisieren und unkalkulierbare Risiken (aus bilanzieller Sicht) umstellen.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Änderungen (BetrVG)?
Die Mitbestimmung des Betriebsrats gilt nur, wenn
- der Betriebsrat freiwillig, beispielsweise in Form einer Betriebsvereinbarung, eingebunden wurde oder
- Förderungen durch den Arbeitgeber nicht nach AGG-Grundsätzen
Dann gilt:
- Bestehende Betriebsvereinbarungen zur bAV können nicht einseitig geändert oder aufgehoben werden, sondern nur durch eine neue Betriebsvereinbarung ersetzt werden
Der Betriebsrat verfügt, sofern er eingebunden wurde, über ein Vetorecht, insbesondere wenn der Arbeitgeber versucht, Versorgungszusagen einseitig zu verschlechtern.
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Tipps zur rechtssicheren Umsetzung von Änderungen an bAV-Zusagen
Will ein Arbeitgeber trotz der engen rechtlichen Grenzen Änderungen an einer bestehenden Zusage der betrieblichen Altersvorsorge vornehmen, zum Beispiel im Rahmen einer Systemumstellung, ist besonders sorgfältiges Vorgehen erforderlich. Unser Experte empfiehlt:
Rechtsgrundlage der Zusage klären
Zunächst ist zu prüfen, auf welcher Basis die bAV-Zusage erfolgt ist: individuelle Zusage (Arbeitsvertrag/Zusatzvereinbarung), Gesamtzusage des Arbeitgebers, betriebliche Übung, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag? Der konkrete Änderungsweg hängt direkt von dieser Rechtsgrundlage ab – etwa ob eine einvernehmliche Vertragsänderung, eine neue Betriebsvereinbarung oder eine Tarifänderung erforderlich ist.
Inhalt und Reichweite der ursprünglichen Zusage prüfen
Der Arbeitgeber sollte den Wortlaut der Versorgungszusage sorgfältig analysieren:
- Gibt es einen Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt? Solche Klauseln sind selten wirksam und nur zulässig, wenn sie klar formuliert, eng begrenzt und zumutbar sind (§ 308 Nr. 4 BGB).
- Enthält die Zusage dynamische Bestandteile (z. Gehaltskopplung) oder feste Leistungsversprechen?
Die Auswertung entscheidet darüber, welche Leistungen bereits erdient sind und damit unter besonderem Schutz der Drei-Stufen-Theorie stehen, und welche noch zukünftig entstehen, was Änderungen rechtlich beeinflusst.
Betroffene Gruppen und Umfang der Änderung identifizieren
Zu prüfen ist, welche Beschäftigtengruppen betroffen sind: Neuzugänge, aktive Mitarbeitende, Ausgeschiedene mit unverfallbaren Ansprüchen oder Rentner. Wichtig: Ungleichbehandlungen müssen sachlich begründet sein – etwa nach Status, nicht nach Alter – um AGG-Verstöße zu vermeiden.
Rat einholen
Angesichts der rechtlichen Komplexität sollten frühzeitig arbeitsrechtlich versierte Experten mit bAV-Erfahrung einbezogen werden. Gerade bei Änderungs- oder Betriebsvereinbarungen ist sicherzustellen, dass diese rechtskonform formuliert sind.
Transparente Kommunikation an die Mitarbeiter
Unabhängig von der Mitbestimmung sollte der Arbeitgeber frühzeitig und transparent mit den Mitarbeitern kommunizieren. Eine offene Kommunikation stärkt das Vertrauen und erhöht die Akzeptanz für notwendige Anpassungen.
Änderungsverträge mit Mitarbeitern abschließen
Liegt eine individualvertragliche bAV-Zusage vor, ist für jede Änderung die schriftliche Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers erforderlich. Dies erfolgt über einen Änderungsvertrag oder Nachtrag zum Arbeitsvertrag, in dem die neuen bAV-Bedingungen verbindlich festgehalten werden.
Versorgungsordnung, Betriebsvereinbarung oder Gesamtzusage aufsetzen
Wird eine kollektive Regelung angestrebt, geschieht dies optimal in Form einer Versorgungsordnung, also einer einseitigen Erklärung des Arbeitgebers, um die bAV rechtssicher aufzustellen. Dabei sind die oben detailliert dargestellten Begrenzungen zwingend zu beachten.
In Ausnahmen beziehungsweise auf Wunsch des Arbeitgebers ist eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat aufzusetzen, die die geplanten Änderungen rechtsverbindlich regelt. Diese sollte klar festlegen, welche bisherigen Regelungen ab wann ersetzt werden (Stichwort: ablösende Betriebsvereinbarung).
Ausführliche Informationen erhalten Sie hier: Gibt es eine Pflicht zur Versorgungsordnung?
Keine übereilten Maßnahmen ohne Zustimmung
Scheitern Verhandlungen und liegt eine dringende wirtschaftliche Notlage vor, kann als letztes Mittel eine Änderungskündigung erwogen werden. Dabei wird das Arbeitsverhältnis gekündigt und gleichzeitig zu geänderten Bedingungen neu angeboten (§ 2 KSchG).
Voraussetzungen:
- dringende betriebliche Erfordernisse, nicht bloß Gewinninteresse
- soziale Rechtfertigung der Maßnahme
- keine milderen Mittel verfügbar
Besonders im Bereich der Betriebsrenten sind die rechtlichen Hürden hoch. Eine Änderungskündigung sollte daher nur im absoluten Ausnahmefall und ausschließlich nach juristischer Prüfung erfolgen, andernfalls drohen Rechtsstreitigkeiten und erhebliche Reputationsrisiken.
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